Still, in sich gekehrt blickt Alexander Tups über die triefenden Dächer von Dunedin. Seine Augen funkeln. Der Hobbymeteorologe weiss, dass kein Tief auf der Südinsel von langer Dauer ist. „Morgen geht Te Waewae Bay, ihr müsst heute los“, liest er aus dem Wolkenbruch über der Halbinsel von Otago. Alexander, selbst Pilot, bescherte uns im rauen Klima Südneuseelands vor zwei Tagen den ersten Flug in dieser Region. Eine stürmische Strömung staute sich an der Westseite der bis zu 3.800 Meter hohen neuseeländischen Alpen. An der Ostküste hatte sie in einem riesigen Leewirbel auf Nordost gedreht – ein enormes Kehrwasser der Lüfte entstand. Unterstützt durch die thermische Seebrise bildete sie am „Sandy Mount“ einen strammen Aufwind. Wir rangen dem Land drei fantastische Flugstunden über einer malerischen Inselwelt ab. Kurz danach entwurzelte ein Föhnsturm Bäume.
Die Scheibenwischer unseres Legacy schaufeln seit drei Stunden tapfer die Sicht frei. Unser Ziel ist die Te Waewae Bay an der äussersten Südküste Neuseelands. Sie wirkt wie das Ende der Welt. Nur noch wenige Farmer leben hier. Sie pflanzen Baumreihen zur Windbrechung, um die Schafherden zu schützen. Die massiven Nadelbäume wachsen unter lebenslanger Sturmlast in runden Bögen. Manche zersplittern und fallen im Kampf gegen die Naturgewalt wie Zinnsoldaten. Der Pazifik hat sich hier gierig in das Land gefressen. So entstand eine 15 Kilometer lange Klippe aus komprimiertem Sand. Ihre Form gleicht dem Abbruch eines kalbenden Gletschers. Die Te Waewae Bay ist wenig bekannt unter Gleitschirmfliegern. Zu windig, zu unberechenbar ist das Wetter dort, zu verlassen die angrenzende Ortschaft Orepuki. Eine fast vergessene Küste in der südlichen Hemisphäre.
In der Hoffnung auf einen Flug verbringen wir die Nacht im Kofferraum. Unser klappriger Blechhobel schaukelt im Wind wie eine Jolle auf hoher See. Als der Tag anbricht, folgen wir stur der eisernen Fliegerregel: In schlechten Zeiten fertig machen, in guten Zeiten starten. Bei Windstärken von 50 km/h suchen wir eine Startmöglichkeit und werden fündig. Warten im Windschatten eines Strohballens. Die antarktische Brise ist kalt und seltsam milchig. Wie ein eisiges Seidentuch umhüllt sie das Land, schluckt Farben und Kontraste.
Es ist 2.30 Uhr nachmittags, als sich die Dichte der Schaumkronen auf der Meeresoberfläche verringert. Langsam dreht der Wind auf Südwest. Das Flugfenster, das sich offenbart, wirkt wie eine Perle, die jederzeit zu Staub zerfallen kann. Wir starten und befinden uns in einem subantarktischen Luftspielplatz. Die Küstenlinie der Te Waewae Bay trägt unsere Flügel kilometerweit, thermisch durchsetzt und weich wie Butter. Auf dem 46. Grad südlicher Breite reiten wir stundenlang die „Southerly Breeze“. Wir fühlen uns wie Vogelmenschen, frei, schwerelos und privilegiert. Ob die Vögel wohl die gleichen Glücksgefühle verspüren? James Cook jedenfalls musste sich 1769 ähnlich gefühlt haben wie wir jetzt.
Roman ist in der Schweiz aufgewachsen und seit dem 18. Lebensjahr mit dem Gleitschirm unterwegs – immer auf der Suche nach neuen Abenteuern.
Felix ist Gleitschirm- und Drachenflieger, Fallschirmspringer sowie Bergsportler der alten Schule. Seit zwei Jahrzehnten gehört er zu den renommiertesten Gleitschirmfotografen weltweit und ermöglicht mit seiner Flugschule Fly Felice vielen Piloten neue Abenteuer.