Schon einmal hatte Julian mit einer Spezialbewilligung 2017 versucht, vom höchsten Berg Afrikas zu fliegen. Aber das Wetter hatte dem Schweizer Bergführer und seinem Gast einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Kilimanjaro-Massiv liegt in der äquatorialen Tiefdruckrinne. So herrschen zwar oftmals keine starken überregionalen Winde, aber die Überentwicklung im Tagesverlauf vereitelt einen Start meist schon am frühen Vormittag.
„Nur wer bereits zum Sonnenaufgang am Gipfel steht und schnell startklar ist, hat eine Chance auf gute Flugbedingungen“, sagt Julian. Wem dies dann vergönnt sei, der erlebe einen Flug der Superlative über eine wohl einmalige Landschaft. „In der Ferne erstreckt sich das Massai-Land mit weiten, trockenen Ebenen. Etwas höher hingegen liegen Bananen-, Kaffee-, Mango-Plantagen und wilde Urwälder, während ganz oben in Gipfelnähe mondartige Gerölllandschaften und Gletscher das Bild dominieren.“
Wie bei jedem Hike & Fly steht auch hier vor dem Start zunächst der Aufstieg. Vom Ende der letzten Fahrstrassen müssen dabei – je nach Route – etwa 4.200 Höhenmeter überwunden werden. Der Anstieg gilt zwar als technisch einfach, doch eine ausreichende, körperliche Anpassung an die große Höhe ist entscheidend für einen Erfolg. Um das ernsthafte Risiko einer Höhenkrankheit zu minimieren, werden deshalb sieben Tage empfohlen. Nachdem er das eine Mal zusammen mit seinem Gast nicht hatte starten können, war für Julian klar, dass er es bei seinem nächsten Kili-Besuch erneut versuchen würde. Die Anstrengungen des Aufstiegs waren für ihn schliesslich nichts Neues. Mit Gästen hatte er schon sechs Mal auf dem höchsten Berg Afrikas gestanden. Und auch bei seinem siebten Mal gemeinsam mit einer Gruppe von Gästen und anderen Bergführern nimmt er seinen Gleitschirm mit. Sollte sein Flug gelingen, würden die anderen Bergführer seine Gäste wieder sicher ins Tal zurück bringen. Ob es dann tatsächlich klappen würde, war allerdings von vielen Faktoren abhängig.
Kein Wunder also, dass Julian seinen Flug bis ins kleinste Detail plante. Neben der Wettersituation stellte der weitläufige Urwald am Fuß des Berges die größte Herausforderung dar. „Im unteren recht flachen Teil bedeckt dieser Wald weite Bereiche ohne jegliche Landemöglichkeiten“, erzählt Julian. Deshalb besichtigte er im Vorfeld mögliche Landeplätze und speicherte diese im GPS. Durch den Abgleich der Gleitzahl zum entsprechenden Landeplatz mit der tatsächlich geflogenen Gleitzahl während des Flugs wollte er dann berechnen, wie viel Reserve ihm zum nächsten Landeplatz bleiben würde.
Worauf er sich nicht vorbereiten konnte, war das Gefühl, tatsächlich vom Kibo abzuheben. Die Bedingungen am frühen Morgen waren perfekt, es herrschte ein leichter Aufwind. Einem Start stand dieses Mal nichts im Wege. Die Gäste halfen Julian beim Auslegen seines Schirms auf einem kleinen Schneefeld. Dann folgten ein paar wenige Schritte, das Knistern der Kappe und der Moment des Abhebens. „Ein überwältigendes Gefühl, das sich nicht planen liess und das ich so nicht erwartet hätte“, erinnert sich Julian. Vom Schneefeld ging es über den schroffen Abbruch am Kraterrand hinaus in die unendliche afrikanische Weite. Nun lag ihm der ganze Vulkankegel mit seinen langen kargen Rinnen zu Füssen. In der Ferne dehnte sich der Urwald aus. „Die Stimmung im Morgenlicht war schlicht einmalig. Der Himmel schien mir ganz alleine zu gehören“, sagt Julian.
Dieser Gedanke entpuppte sich jedoch als falsch. Schon vor dem Abflug hatte Julian beim Tower des Kilimanjaro Airports eine Starterlaubnis einholen müssen. Als er auf etwa 3.500 m dann in die Ebene hinausflog hörte er über Funk, wie der Tower eine anfliegende Verkehrsmaschine auf ihn aufmerksam machte und diese auf eine andere Route umleitete. „Eine Situation, die man als Gleitschirmpilot vermutlich nicht oft erlebt“, sagt Julian schmunzelnd. Nach gut einer Stunde, über 30 km in der Horizontalen und 5.000 m in der Vertikalen landete er sicher unterhalb von 800 m. Sein Blick fiel zurück: Was für ein Flug. Was für ein Erlebnis! Eines ist dem 32-Jährigen in diesem Moment klar: Daran wird er sich sein ganzes Leben erinnern.
Julian Beermann, Jahrgang 1985, ist Bergführer und Helikopterpilot. Gleitschirm fliegt er seit 2010.