Es ist Anfang Juni und es hat bis auf 2.000 Meter geschneit. Die Lawinengefahr in den Alpen ist hoch. Die kommende Hochdruckphase würde sich für eine langersehnte Tour anbieten. Der direkte Zustieg ist jedoch alles andere als sicher. Was machen? „Wie wär’s, wenn wir einfach über die kritischen Hänge fliegen?“, sagt plötzlich Caro und ein Strahlen geht über ihr Gesicht. Kurzerhand packen Caro und Nadine zu ihrer Bergsteiger- und Skiausrüstung auch noch die Gleitschirmausrüstung dazu und steigen in den Zug Richtung Jungfraujoch. Ein Umweg, der jedoch unumgänglich ist.
Erst einmal geht es voll bepackt vom Jungfraujoch auf den Tourenskis zur Mönchsjochhütte. Hier verbringen Caro und Nadine ihre erste Nacht. Das nächste Etappenziel ist der Biwakplatz am Fusse des Schreckhorns. Doch dazwischen liegt ein Serac, der 1.000 Meter steil in die Tiefe abbricht, und ein grosser abgelegener Gletscher. Sein Name: Eismeer. Der Gleitschirm wird es hoffentlich richten. Was sich immer so einfach anhört, ist in Wirklichkeit meist komplizierter. Fliegen im Hochgebirge erfordert viel Erfahrung. Oft ist der Wind zu stark, die Wolkenbasis zu tief oder das Wetter schlichtweg nicht gut genug.
Die ersten Sonnenstrahlen berühren die Gipfelspitzen, wenig später leuchten die Berge rundherum im Morgenrot. Ein neuer Tag erwacht und mit ihm bewegen sich Caro und Nadine in Richtung Fieschersattel. Sie wollen auf der Ostseite des Grossen Fiescherhorns auf fast 4.000 m starten. Wetter und Wind passen perfekt. Ein letzter Blick, ein kurzes „guten Flug“ und Caro hebt ab. Nadine hinterher. Gleitzahlen sind mit schwer beladenen Schirmen und Skis an den Füssen schwer zu berechnen und so hoffen die zwei, dass sie hoch genug auf der anderen Seite ankommen. Umso grösser ist das Grinsen, als sie wenig unterhalb ihres Schlafplatzes landen. Der Plan ist aufgegangen, und sie sind sogar noch höher als gedacht. Genial!
Die Nacht im Zelt war kalt. Noch in der Dunkelheit brechen Nadine und Caro auf, um auf den Grat zwischen Lauteraarhorn und Schreckhorn zu klettern. Von dort will das Duo das Schreckhorn überschreiten. Zunächst erfolgt der Aufstieg in einer steilen Flanke und dann auf dem ausgesetzten Grat. Die letzten Meter bis zum Gipfel müssen im Schnee gespurt werden. Es ist anstrengend, mühsam. Einmal oben, ist die Aussicht schlicht überwältigend. Freudestrahlend liegen sich die beiden Frauen in den Armen. Was für ein wahnsinniger Augenblick. „Wir geniessen den Moment, bevor wir über einen teils noch sehr schneereichen Normalweg vom Schreckhorn absteigen und zurück zu unserem Biwakplatz gelangen“, erzählt Nadine. Jetzt kommen auch wieder die Gleitschirme ins Spiel, um zurück ins Tal zu fliegen…
Nur leider hat der Wettergott kein Erbarmen mit den beiden Bergsteigerinnen. Die Wolken sind schnell, schneller als Caro und Nadine. Als die zwei an ihrem Biwakplatz ankommen, stehen sie bereits mitten im Whiteout. Mit maximal ein bis zwei Metern Sicht ist an Fliegen nicht mehr zu denken. Und so warten sie. Warten und hoffen, dass es nochmal aufmacht. „Wir hatten die schlechte Vorahnung, dass wir nochmal eine Nacht in unserem Biwak verbringen müssen, wenn sich die Wolkendecke nicht lichtet“, berichtet Caro. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Schliesslich, ein paar Stunden später und ein paar hundert Höhenmeter tiefer, finden sie ein Loch in den Wolken. Sie packen die Gelegenheit beim Schopf, starten raus und landen wenig später überglücklich in Grindelwald.
Danke an dieser Stelle an Lucien Caviezel und Roger Schäli für die Hilfe. Die komplette Tour gibt es verfilmt in der 20. EOFT.
Caro North ist Bergführerin und Profialpinistin. Bereits mit 16 Jahren stand sie auf dem 6.961 m hohen Aconcagua in Südamerika. Seitdem hat sie zahlreiche Expeditionen nach Patagonien, in den indischen Himalaya, Iran, Armenien, Alaska, Südafrika und ins Yosemite Valley unternommen.
Nadine Wallner stand mit drei Jahren das erste Mal auf Skiern. Kein Wunder, dass sie zweimal die Freeride World Tour für sich entscheiden konnte. Die österreichische Bergführerin verbringt jede freie Minute draußen auf Ski, beim Klettern oder Fliegen. Am besten alles auf einmal in Kombination.