Die Rottalhütte thront hoch über Stechelberg. Bis man bei ihr ist, vergehen gut fünfeinhalb Stunden. Eine Zeit, die meist mühsam ist, denn die Rucksäcke sind schwer beladen mit der gesamten Hochtourenausrüstung. Wer auf die Rottalhütte steigt, macht dies oftmals mit einem ganz bestimmten Ziel im Kopf: Die Jungfrau – der höchste Gipfel des weltbekannten Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau.
Auch das Sechsergespann Sepp Inniger, Nicola Heiniger, Jil Schmid, Joel Siegenthaler, Hanes Kämpf und Andrina Frutiger haben die Jungfrau als Ziel. Als Krönung auf dem schnellsten Weg ins Tal. Daher haben sie neben der allgemeinen Hochtourenausrüstung auch Gleitschirmequipment dabei. «Die Idee nicht nur vom Gipfel zu starten sondern auch noch zur Hütte zu fliegen, hatte ich schon länger», grinst Nicola, «Da nicht alle Gleitschirm fliegen, hatten wir zwei PIBI Leichttandems und zwei Soloschirme dabei. Gemeinsam sind wir um 13 Uhr in Interlaken gestartet und mit Zug und Bahn zum Startplatz gefahren. Dank super Abendthermik konnten wir bis fast zur Hütte auf 2.756 m hochfliegen – am Ende waren es noch 300 Höhenmeter, die wir bewältigen mussten anstatt 1.800. Ziemlich cool!»
Der Innerer Rottalgrat wird mit ZS/4a bewertet und bietet interessante, anspruchsvolle Kletterei. Oft ist er ausgesetzt, Schwindelfreiheit ist hier ein Muss. Eisige Passagen wechseln mit felsigen, was einen ständigen Wechsel zwischen Steigeisen und Bergschuh Klettern mit sich bringt. Der grösste Teil des Grat wird am Seil geklettert, die schwierigsten Passagen sind zusätzlich mit Fixseilen abgesichert. Ein früher Start ist bei so einer Tour unabdingbar. «Wir hatten einen super Abend, aber die Nacht war sehr kurz. Um vier Uhr in der Früh sind wir an der Hütte los gelaufen», berichtet Nicola, «bis zum Gipfel sind es 1.400 Höhenmeter.»
Schritt für Schritt geht es durch die Nacht, dem Schein der Stirnlampe folgend. Die ersten Meter sind noch einfach, dann wird es schwieriger und das Team seilt an. Sicheren sich Seillänge um Seillänge nach oben. Manchmal sind Steigeisen aufgrund der eisigen Passagen nötig, meistens klettern die Sechs aber in ihren Bergschuhen. Ganz langsam wird es heller, die Dämmerung setzt ein. Das Licht der Stirnlampe wird nicht mehr gebraucht, das frühe Aufstehen mit einem wunderschönen Sonnenaufgang belohnt. «Wenn es langsam Tag wird und die Sonne aufgeht, das ist immer ein ganz besonderer Moment für mich», erzählt Sepp. Das Team kommt gut voran. Weit ist es nicht mehr bis zum Gipfel und der Tag ist noch früh. Ob der Wind oben einen Start zulässt?
«Die Kletterei war schon anstrengend. Aber als wir uns dem Gipfel näherten, war jegliche Anstrengung vergessen. Ganz oben zu stehen ist immer etwas Besonders», berichtet Hanes. Das Team startet einige Höhenmeter unterhalb des Gipfels im Schnee – an diesem Morgen herrscht Aufwind, perfekte Startbedinungen auch für den Tandem. Sie können am Gipfel entlang soaren und anschliessend vor der Nordwand des Mönch in Richtung Interlaken fliegen.
Eine knappe Stunde nachdem die Sechs gestartet sind, landen sie in Interlaken. Mitten in der Stadt auf einer grünen Wiese. Gerade eben noch im Schnee und jetzt zurück in der Zivilisation. Der Traum eines jeden Bergsteigers: Einfach und leicht ins Tal gleiten nach einem wunderbaren Gipfelerfolg. Sich den mühsamen Abstieg sparen. «Wenn man solche Erlebnisse mit guten Freunden teilen kann, ist das noch fantastischer», schwärmt Sepp.
Sepp ist ambitionierter Bergsteiger und Gleitschirmpilot. Am X-Alps 2019 war er Supporter von Patrick von Känel. Nur wenige Wochen später stand er gemeinsam mit ihm und mit Chrigel Maurer auf dem Podest der Eiger-Challenge in Grindelwald.
Hanes Kämpf wurde für die X-Alps 2021 selektiert und stand schon auf einigen Podesten bei Hike&Fly Rennen. Wenn er nicht gerade unter dem Gleitschirm hängt, findet man ihn beim Bergsteigen.
Nicola Heiniger gehört zu den Nachwuchsstars der Szene. Er nimmt regelmässig an Wettkämpfen teil und erreicht Podestplätze.