Nachdem ich im Juli 2019 mit vier Freunden ein fantastisches Volbiv-Abenteuer erlebt hatte, wollte ich mehr Piloten zum Biwakfliegen motivieren. Ein solches Abenteuer zusammen vorzubereiten und dann gemeinsam zu starten, senkt die Hemmschwelle für jeden einzelnen beträchtlich. Getreu der Philosophie der Gumball 3000: „It’s not a race, it’s a rally“. Diese legendäre Strassenrally führt einmal im Jahr durch verschiedene Länder, und der gesellschaftliche Teil ist ebenso wichtig wie die Fahrt. So war die Gumball Transalp Rallyals VolBiv Projekt geboren.
Es sollte also jeder Teilnehmer selber entscheiden, wie er das Volbiv-Abenteuer gestalten will: z.B. puristisch, also komplett unabhängig und ausschliesslich aus eigener Kraft oder etwas entspannter mit Hilfe von öffentlichen Transportmitteln. Die Absicht war, sich unterwegs gegenseitig Tipps zu geben, im Idealfall zusammen zu fliegen oder zu biwakieren. Saint-André in Südfrankreich hat sich als Ausgangspunkt bewährt. Als imaginäres Ziel haben wir Chamonix am Fusse des Mont Blanc definiert. Und wenn es noch weiter gehen sollte, umso besser.
Trotz COVID-Restriktionen und nicht gerade vielversprechenden Wetterprognosen trafen Nigel, Chris, Tony, Feite, Rhys, Ian, Steve und ich, also acht voll motivierte Gumballers, in Saint-André ein. Nach einem ersten gemeinsamen Abendessen liessen wir uns am Abend zum Startplatz Le Chalvet fahren, wo alle in ihrem Zelt die erste Nacht verbrachten. Für einige war es die Volbiv-Feuertaufe, und das Biwakmaterial wurde einer ersten Bestandsprobe unterzogen. Die Flugwetterprognose für den nächsten Tag schaute nicht gerade vielversprechend aus, aber gegen Mittag erhörten die Wettergötter unsere Gebete.
Wir gelangten kurz nacheinander in die Luft, die Basis stieg auf 3.600 Meter und gemeinsam brachen wir Richtung Norden auf. Am Abend zeigte sich bereits das ganze Spektrum eines solchen Gruppenabenteuers. Bei sechs der acht Teilnehmer standen um die 100 km auf den Varios. Eigentlich ein gelungener Start. Nur leider hatte ein Pilot eine harte Landung und musste ins Krankenhaus. Ein anderer hat im Outback den Thermikanschluss verpasst – eine längere Wanderung war
die Konsequenz.
Am nächsten Tag konnten die verbleibenden sechs Gumballer wieder beträchtlich Airtime sammeln. Vier Teilnehmer verteilten sich dann am Abend über eine grössere Strecke zwischen den französischen Süd- und Nordalpen. Chris und mir gelang es nochmals, um die 140 km zu fliegen. Wir landeten unabhängig voneinander in der Nähe von Albertville, nahe dem Milestone Chamonix. Begegnet sind wir uns trotzdem nicht, ich war etwas früher dran und der Lac d’Annecy lag in Marschweite. Somit konnte ich mein Bier am Abend am Landeplatz Doussard geniessen. Chris hingegen wanderte Richtung St. Gervais.
Chris Ashdown Sicht:
"Als mich Tim fragte, ob ich bei der ersten Gumball Transalp Rally mitmache, war ich zuerst skeptisch. Bin ich einer solchen Herausforderung überhaupt gewachsen? Denn ich bin in meiner bisherigen Flugkarriere noch nie annähernd 100 km geflogen. Dann aber sagte ich zu mir selbst: Hey, ich werde nicht jünger und wenn ich diese Chance nicht wahrnehme, bereue ich es vielleicht für immer. Als ich dann gleich beim ersten Flug mit Hilfe von Tim und Nigel bis auf 3.600 m aufdrehte und mit 87 km meinen weitesten Flug realisierte, war ich überglücklich. Das war mehr, als ich mir je erhofft hatte. So ging es dann weiter, am zweiten Tag gab es nochmals ‚personal best‘ mit über 143 km. Danach kam leider das schlechte Wetter. Ich legte einen Teil der Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück und flog kleinere Distanzen. In Verbier traf ich wieder auf Tim. Der nächste Tag war dann das absolute Highlight dieses Trips: wir flogen über den Aletschgletscher in Fiesch und landeten am Abend im Tessin. Erneut ‚personal best‘, einfach nur WOW. Nach der Landung brauchte ich zuerst einen Moment, um das alles mental verarbeiten zu können."
Den bevorstehenden Regentag nutzten alle dazu, sich in eine optimale Position zu bringen. Dabei bildeten sich im weit verteilten Feld wieder zwei Gruppen, Chris und ich hingegen waren allein und jeder suchte einen Startplatz in seiner Nähe auf. Der folgende Tag hielt, was er versprach. Ich konnte an Chamonix vorbei bis in die Schweiz fliegen, wo ich mich nach einem weiteren Ruhetag wieder mit Chris in Verbier traf. Die anderen Gumballer waren, in zwei Gruppen aufgeteilt, ebenfalls in der Nähe von Chamonix. Zwei von ihnen wollten weitermachen und auch die Schweiz erreichen, für die anderen war das französische Bergdorf das Ziel und somit Schluss.
Chris und ich wanderten am Morgen von Tag 6 gemeinsam an den Startplatz von Verbier. Aufgrund des stärkeren Windes nördlich der Alpen entschieden wir uns für eine südliche Route. Es war ein guter Plan, denn am Abend hatte ich nach über 190 km Flugstrecke Bellinzona im Tessin erreicht, Chris war nahe dran. Mit dem von Westen heranziehenden, schlechteren Wetter war das Glück auf unserer Seite. Während wir beide in grossen Schritten die Schweiz und anschliessend Norditalien durchquerten, wurden unsere Freunde, die sich immer noch in der Nähe von Chamonix befanden, durch das schlechte Wetter leider gegroundet.
Nun zeichnete sich für mich ein neues Ziel ab: soweit wie möglich in die Nähe von Venedig zu gelangen. Von dort aus würde ich mit dem Flieger nach Hause kommen. Je näher ich an die Po-Ebene kam, umso stabiler wurde die Luftmasse und umso kürzer wurden die Flüge. Meine Glückssträhne neigte sich dem Ende zu. Ein sehr turbulenter 4,5-Stunden-Flug über nur 30 km brachte mich an Tag 10 in die Nähe von Bassano del Grappa. Das war ein guter Schlusspunkt und ich freute mich über meine persönliche Bilanz: 800 km in acht Flügen. Auch die Gruppenbilanz liess sich sehen, immerhin haben sechs von acht Gumballer den Meilenstein Chamonix erreicht. Und wo ist eigentlich Chris? Erst auf meiner Zugfahrt nach Venedig habe ich erfahren, dass er etwas westlicher bei Bergamo ebenfalls die Po-Ebene erreicht hat und von dort nach Hause flog. Well done Chris! Auf ein Wiedersehen bei der Gumball Transalp Rally 2021.
Rhys Fisher, Chris Ashdown, Steve Wagner, Tony Chapman, Ian McHardy, Feite Klijnstra, Nigel Cooper und Tim Pentreath haben sich für das VolBiv-Abenteur zusammen getan, konnten voneinander profitieren und hatten vor allem eine geniale Zeit in den Alpen.