Der Start verläuft holprig. Eine Hitzewelle fällt über Europa herein, die Luftmasse wird zusehends stabiler. Es fliegt nicht richtig und ist zu heiss zum Wandern. Die 36 bis 40 kg an Flug- und Biwakausrüstung, die sie gemeinsam tragen, fallen ins Gewicht. "Eine ganze Woche benötigen wir, um von unserer Heimat Barcelonette auf die nördliche Seite der Französischen Alpen zu gelangen. Die gleiche Strecke bin ich ein Jahr zuvor in weniger als acht Stunden geflogen", erzählt Sébastien etwas frustriert, "da rückt das Ziel Slowenien natürlich gleich in die Ferne. Dennoch haben wir versucht, die Tage so zu nehmen, wie sie kommen."
Die Moral der beiden steigt mit zunehmender Flughöhe, konkret mit dem Erreichen der Hochalpen. Beeindruckend ist ihr erster grosser Streckenflug entlang des südlichen Mont Blanc Massiv bis weit nach Italien hinein. "Wir haben nun die Heimat endgültig hinter uns gelassen und entdecken ab jetzt neues, unbekanntes Gelände. Der Urlaub hat begonnen", sagt Céline. Sie geniessen vor allem auch die Zeit im Freien und schlafen im Zelt. Der Tagesablauf pendelt sich langsam ein: Schlafplatz suchen, Zelt aufstellen, kochen, schlafen, alles einpacken, planen und entscheiden. Aber wie sieht eigentlich die Rollenverteilung aus? "Wir entscheiden gemeinsam und wechseln uns bei allem ab, in der Luft wie am Boden. Sébastien ist aber derjenige, der vorwärts pushed und die Initiative zum Fliegen ergreift. Ich hingegen sichere manchmal etwas ab und bremse ihn ein wenig", schmunzelt Céline.
Die Strecke durch Norditalien legen die beiden weitgehend fliegend zurück. Die Bedingungen sind vielversprechend, auch an dem Tag, wo Céline und Sébastien den Comersee im Flug queren und in das Veltlin einbiegen, ist die Thermik stark und winddurchsetzt, die Flugbedingungen anspruchsvoll. Sébastien ist bei diesem Flug "Pilot in Command", zum Glück, denn Céline mag solche Bedingungen weniger. Aber, die beiden kommen gut voran und am Nachmittag taucht mit dem Piz Bernina der östlichste 4000er der Alpen auf. Ein weiterer Meilenstein, ein befriedigender Moment. Zur Feier dieses 94 km-Fluges gönnt sich das Duo italienisches Eis.
Céline und Sébastien sind bereits 16 Tage unterwegs. Müdigkeit macht sich langsam breit. "Wir kompensieren diese, indem wir versuchen, methodisch zu bleiben, damit uns keine Fehler passieren", sagt Céline. Ob es einen Tiefpunkt auf der Reise gab? "Ja", sagt Sebastien, "ich habe einmal vergessen, vor dem Start den Rucksack richtig zu befestigen. Wir hatten grosses Glück, denn ich konnte ihn in der Luft festhalten und befestigen. Das war jedoch der Moment, wo sie ihren Emotionen freien Lauf liess und mir hemmungslos ihre Meinung zu diesem Versehen sagte… Das ist die Kehrseite, wenn man als Paar unterwegs ist", schmunzelt er.
Céline landet den PIBI am Morgen des 22ten Tages in Österreich. Slowenien ist nicht mehr weit, aber der Himmel grau. Laufen ist angesagt. Nach einem unerwarteten Flug am nächsten Tag entdecken sie auf der Karte einen potentiellen Startplatz nahe der slowenischen Grenze. "Morgen oder nie", lässt Sébastien verlauten. Denn die Wettervorhersagen für die folgenden Tage sehen düster aus. Doch der Startplatz muss zuerst erreicht werden, es liegen 15 km Luftlinie und 1.000 Höhenmeter dazwischen und es ist bereits 18.30 Uhr.
Gesagt, getan. Nach einer von der Mondfinsternis erhellten Monsterwanderung erreichen die beiden um 3:30 Uhr den Startplatz. Viel Zeit zum Schlafen haben sie nicht – beim Sonnenaufgang manövriert Céline den Tandem bereits gekonnt zwischen Bäumen und Skilift in die Luft. Ein zehn-minütiger Gleitflug folgt und die beiden setzen ihre Füsse auf slowenischem Boden auf. Das Ziel ist erreicht. Noch ein paar Kilometer zu Fuß bis zur nächsten Bushaltestelle. Dann ist Schluss.
Mit Bus und Zug fahren die zwei zurück und sind drei Tage später wieder in der Arbeit. In den letzten dreieinhalb Wochen haben sie nur im Moment gelebt, der pure Luxus. "Sébastien wollte gar nicht mehr nach Hause", verrät uns Céline und lacht.
Céline Mehouas und Sébastien Remillieux leben in Barcelonnette in Südfrankreich und sind als Physiotherapeuten tätig. Sie fliegen seit ca. 8 Jahren Gleitschirm und haben beide das Tandem-Brevet. Sie haben bereits erste Erfahrungen im Tandem-Volbiv gesammelt, indem sie gemeinsam die Pyrenäen durchquert haben.