„Der Gleitschirm ist das einfachste Fluggerät, das ich kenne“, sagt Adi Geisegger. Einmal Leinen-Sortieren, Luftraum-Checken und los geht’s. Diese Einfachheit zelebrieren Adi Geisegger und das Geschwisterpaar Melanie und Christian Weber. Sie suchen keine Rekordflüge im Himalaya, sondern ein Flugabenteuer für Otto-Normalpilot, das vor der eigenen Haustür im deutschen Allgäu beginnt. „Wir sind schlicht in eine andere Richtung geflogen, als wir es von diesem Startplatz normalerweise tun”, beschreibt Adi die Routenwahl.
Der Flug wird so gleich bei der ersten Querung zur Entdeckungsreise. „Das Schöne an unserem Fluggebiet ist, dass es keine grossen Talwindsysteme hat und so überall Landemöglichkeiten vorhanden sind”, erklärt Adi das Fliegen im Allgäu. Selten komme man hier fliegerisch an seine Grenzen, „und das, obwohl das Gebiet landschaftlich Einiges zu bieten hat.“ Das Allgäu eignet sich dadurch auch für weniger routinierte Piloten.
Das Wetter ist dem Trio von Beginn an nicht besonders wohlgesinnt. Ursprünglich hatten sie sich von ihrem Hausberg „Mittag” bei Immenstadt in Richtung Bodensee halten wollen. Doch der Westwind ist zu stark. „Wir haben also improvisiert und einfach das Beste daraus gemacht”, erzählt Adi. Statt sich über die Wettergötter zu ärgern, wird der Kurs kurzerhand geändert. Es geht nicht gegen, sondern mit dem Wind Richtung Osten.
Die Bedingungen lassen aber auch so zu wünschen übrig. Am ersten Tag stehen die Abenteurer bereits nach der ersten grossen Querung zum Spieser bei Bad Hindelang wieder am Boden. Tags darauf wachsen die Wolken schneller in die Höhe als es den Piloten lieb ist. Sie schaffen es trotzdem an die Basis und fliegen mit Rückenwind Richtung Reutte. Der grosse Kessel stellt sie vor eine Entscheidung: Links via Plansee oder rechts via Heiterwangertal?
Adi entscheidet als der erfahrenste Pilot im Team: Das Heiterwangertal sieht vielversprechender aus. Der Tal- und der überregionale Wind verschwören sich jedoch gegen das Vorhaben und die drei stehen am Heiterwangersee am Boden.
„Fehlentscheide gehören nun mal zum Fliegen”, sagt Adi und lacht. „Sie sind der Grund, warum ich nach 23 Jahren immer noch fliege”. Ein und derselbe Ort könne bei jedem Überflug anders sein. Windrichtung, Jahreszeit, Sonneneinstrahlung, Luftschichtung: Es gibt unzählige Variablen, die beeinflussen, ob eine Flugroute funktioniert oder nicht.
Aber auch das gehört zum Biwakfliegen: Spontan umdisponieren, immer das Positive sehen. So erfreuen sich die unglücklichen Flieger bald an einer Gastwirtschaft am Heiterwangersee und stärken sich für den 1.200-Meter-Aufstieg am Folgetag auf die Kohlbergspitze.
Den Abend und die Nacht verbringt das Team eingehüllt in ihre Gleitschirme am Lagerfeuer. Auch als tags darauf die Thermik wieder nicht will, disponieren die Flieger einfach um und verbringen einen wunderschönen Tag am Hebeltaljoch. Pause vom Alltag geht so einfach: freie Zeit und Stille am Berg.
Am letzten Tag der Reise besinnt sich das Wetter schliesslich: Tolle Flugbedingungen sind vorausgesagt. „Wir wollten mit einem Highlight abschliessen”, erklärt Adi. Ihm schwebt ein Start von der Zugspitze vor. Um dieses Ziel zu erreichen, starten Melanie, Christian und Adi frühmorgens Richtung Deutschlands höchsten Berg, landen am Fuss ein und beginnen den Aufstieg zum Hochfernerkopf.
Die Zeit drängt plötzlich. Nach dem Mittag werden zunehmende Winde auf 3.000 Metern erwartet. Das könnte einen Start verunmöglichen. Die Bierzeltstimmung auf dem Plateau der Seilbahnbergstationen und dem nahen Gipfel ist nach der Stille des Aufstiegs wie ein Schock. Umso mehr geniesst das Trio die letzten Meter zum Startplatz etwas unterhalb. Hier, zwischen Gletscher, Leitern und Seilsicherungen kehrt wieder Ruhe ein.
Kräftige Thermikablösungen erschweren den Start, doch alle drei kommen sicher in die Luft. Das Gefühl, über den mächtigen Felswänden der Zugspitze zu schweben sei unbeschreiblich und Belohnung für den harten Aufstieg, erzählt Adi.
„Eigentlich ist es egal, ob man 20 oder 200 Kilometer weit fliegt”, resümmiert Adi. Wichtiger sei, „dass man Abschnitte und Gebiete entdeckt, die man noch nie gesehen hat und dass man landet, wo man noch nie zuvor gelandet ist.“ Dieses Ziel hat die kleine Fluggemeinschaft auf ihrer Entdeckungsreise von Zuhause aus ohne Zweifel erreicht.
Melanie hat vor sieben Jahren das Gleitschirmfliegen für sich entdeckt, als Hike&Fly-, Paramotor- und Streckenpilotin liebt sie es, neue Fluggebiete zu entdecken und so auf einen Trip wie diesen auf Entdeckungsreise zu gehen.
Adi fliegt seit den frühen 1990er Jahren Gleitschirm und Drachen. In den vergangenen Jahren ist der Fotograf und Filmer auch immer öfters mit dem Paramotor anzutreffen.
Christian fliegt seit sieben Jahren. Am Streckenfliegen gefällt ihm die Konzentration beim Aufdrehen und die gefühlte grenzenlose Freiheit, die ihn an der Wolkenbasis erwartet.