„Mal sehen, was möglich ist. Mal auskundschaften, was geht.“ Als Aaron Durogati und seine drei Begleiter Fabi Buhl, Will Smith und Jake Holland nach 20 Stunden Karakorum-Highway endlich in Karimabad ankamen, waren sie erst mal überwältigt von der Wucht der hohen Berge: umringt von Siebentausendern, die Achttausender in Sichtweite. Bekannte Namen wie Rakaposhi, Nanga Parbat, K2 und viele mehr.
Es war Aarons erste Reise in den abgelegenen Nordosten Pakistans. Der Weltcupsieger, X-Alps-Athlet und Ausnahmepilot hatte keinen Rekord-Plan, als er Anfang Mai für rund fünf Wochen in den Karakorum aufbrach. Alles was er wollte: „Frei im Kopf werden und das machen, was er kann. Gleitschirmfliegen und Skifahren. Beides in einer neuen Dimension erleben.“ Deshalb der lange Weg ins Hunza-Tal und nach Karimabad. Es solle in jeder Beziehung eine „Life Experience“ werden.
„Als wir ankamen, war das Wetter instabil. Stürme mit bis zu 80 km/h Windgeschwindigkeit. So konzentrierten wir uns aufs Akklimatisieren: Wetterfenster abwarten, zu Fuss rauf, mit dem PI 3 runter.“ Es galt, fit zu werden für Höhen über 5000 Meter. Bald schon hatten Aron und sein Team die Verhältnisse soweit im Griff, dass sie zu ersten Sky & Fly Combos aufbrachen. Der Hunza-Peak-Gletscher (rund 5000 m ü. M.) wartete mit spannenden Steilhängen auf, und als das Wetter besser wurde, bot der Barbara Peak (5520 m ü. M.) coole Freeride-Erlebnisse. Aarons erstes Learning: Wunderbar, aber ein sehr anspruchsvolles und bisweilen tückisches Terrain. „Das hier ist nicht mehr Sport, das ist Abenteuer.“
Endlich, nach zwanzig Tagen, besserte sich das Wetter und erste Streckenflüge waren möglich. „Die schrittweise Akklimatisierung war mir wichtig, denn ich wollte ohne Sauerstoff fliegen.“ Der erste Streckenflug, ein flaches Dreieck von insgesamt 200 km, war ein Erfolg. Die dünne Luft auf Flughöhen bis zu 6500 m sorgte für Tempo. Aaron benötigte keine sechs Stunden für den Flug. „Meine Absicht war, möglichst weit zu fliegen und möglichst viel zu sehen.“
Als Startplatz für die Streckenflüge hatte Aaron einen Osthang oberhalb Karimabad ausgewählt. Vor jedem Start galt es, zuerst 1000 Höhenmeter zu Fuss hochzusteigen. So auch beim zweiten Streckenflug: ein gleichschenkliges FAI-Dreieck von insgesamt 285 km. Dabei wurde einiges an Lehrgeld gefordert: Die katabatischen Winde – starke Ausgleichswinde, die von den grossen Gletschern herausziehen – machten Aaron einen Strich durch die Rechnung. Das Ziel Karimabad war schon im Gleitwinkelbereich und das Vario zeigte 5000 m Höhe an. Aber nur wenige Minuten später war Aaron gezwungen, in einem abgelegenen Tal zu landen. Der Fussmarsch zurück dauerte dann mehrere Stunden.
Doch kaum hatten die Streckenflug-Aktivitäten so richtig begonnen, stellte sich Aarons Magen quer: „Pakistani-Food ist nicht mein Ding. Ich bin Italiener. Und so hatte ich immer etwas Mühe mit der Speisekarte. Als wir zum nächsten Abenteuer Barbara-Peak aufbrachen, ging es mir plötzlich sehr schlecht.“ Was folgte, war ein Restart: Erst Infektion auskurieren, dann Ruhetag einschalten, dann wieder mit Ski & Fly-Combos weitermachen.
Kaum war Aarons Magen wieder im Normalmodus, machte ihm eine harte Landung zu schaffen. „Ich hatte auf diesem Flug ausnahmsweise keinen Protektor dabei. Und so bekam mein Rücken einen Schlag ab.“ Doch trotz Schmerzen stieg Aaron am nächsten Tag mit seinem Omega XA 4 wieder zum Startplatz hoch. „Ich hatte gemerkt, dass es meinem Rücken im Gurtzeug am besten ging.“ Und so begann Aarons asiatisches Rekord-Abenteuer.
Bis zur ersten Wende war Aaron sehr schnell unterwegs. Dann kamen die schwierigen Momente, in denen er teilweise nur 200 Meter über einer abgelegenen Talsohle flog und 0,1 Meter Steigen auskurbelte. „Jeder Meter Auftrieb war Gold wert. Denn landen und zurück laufen war keine Option. Das Gelände war viel zu anspruchsvoll, und mit meinem Rücken konnte ich ohnehin nicht laufen. Ich wäre völlig aufgeschmissen gewesen.“ Der letzte Schenkel des Flugs war wiederum effizient. Dank guter Thermik flog Aaron am 7800 m hohen Rakaposhi vorbei zurück zur letzten Wende. Das asiatische Rekordabenteuer war gelungen: 312 Kilometer in 10.30 Stunden.
„Von der Thermik her gesehen ist das Fliegen ähnlich wie in unseren Alpen. Doch wer im Karakorum unterwegs ist, erlebt alles in einer anderen Dimension: Du machst mehr Höhenmeter und alles ist zehn Mal grösser als bei uns: Die Gletscher, die Spalten, die Seracs. Und vor allem: Du bist ganz auf dich gestellt. Und das bei sehr schwierigem Terrain. Das ist der grosse Unterschied.“ Mit dieser Situation war Aaron während seiner Flüge wiederholt konfrontiert worden. „Hier holt dich kein Heli. Hier wärst du tagelang unterwegs, bis du wieder zurück bist, wenn du überhaupt wieder zurückkommst.“ Dies verlangte ebenso viel Selbstvertrauen wie Gespür: „In den fünf Wochen habe ich gelernt, meinem Bauchgefühl zu vertrauen. Hätte ich bei meinen Entscheidungen nicht auf meine innere Stimme gehört, wäre auch der Rekordflug nicht zustande gekommen.“
Aaron ist ein absolutes Allround-Talent. Ein Pilot, der sich in allen Disziplinen des Gleitschirmfliegens zu Hause fühlt – XC, VolBiv, Speedflying oder Climb & Fly. Der ehemalige Gesamtweltcupsieger hat bereits fünfmal an den X-Alps teilgenommen und konnte viele namhafte Wettbewerbe für sich entscheiden.