Der Start der Expedition bei Skardu im Norden des Landes ist ganz nach dem Geschmack der beiden französischen Gleitschirm-Abenteurer. Die Flugbedingungen sind sehr gut. „Wir mussten uns bewusst zurückhalten, um nicht höher als 6.800 Meter zu fliegen. Andernfalls wäre die Akklimatisation für die extreme Höhe nicht gewährleistet gewesen", erklärt Damien. Der erste Flug ist fast perfekt.
Dann die erste Landung. Der Landeplatz ist zwar relativ einfach, eine sanfter Grat mit einzelnen Steinblöcken. Beide Piloten haben aber über 35 Kilogramm Proviant, Wasser und Ausrüstung im Gurtzeug. Sie sind mit etwa 15 Kilogramm über dem zugelassenen Gesamtgewicht ihrer Gleitschirme unterwegs und fliegen auf über 4.000 Metern.
Die geringe Luftdichte, kombiniert mit der hohen Flächenbelastung, machen die Schirme schnell. „Ich habe bei dieser Landung, wie bei der Hälfte meiner Landungen in Pakistan, die Popo-Landetechnik gewählt", gibt Damien offen zu. Denn bei einer Landegeschwindigkeit von fast 50 Kilometern pro Stunde, sei Rennen eigentlich keine Option.
Antoine landet nicht weit entfernt. Er versucht allerdings, stehend aufzusetzen. Die Belastung ist zu gross für seinen Knöchel und er verletzt sich schwer. „Wäre ich in dieser Situation gewesen, hätte ich die Expedition abgebrochen", erzählt Damien. „Ich habe Antoine gesagt, dass er wegen mir nicht weitermachen müsse".
Aber Antoine wäre nicht Antoine Girard, wenn ihn der erste Rückschlag gleich zum Abbruch zwingen würde. Der Alpinist und Gleitschirm-Höhenrekordhalter entscheidet: „Ich mache weiter.“
Antoine kann nicht mehr gehen. Also wechseln die beiden Piloten die Strategie. „Wir sind immer hoch gelandet, auf der Westseite eines Passes zum Beispiel", erklärt Damien. So liegen der Landeplatz am Abend und der Startplatz am nächsten Morgen oft nur wenige Höhenmeter auseinander. Dazwischen, oft über 5.000 Meter, biwakieren die beiden. Über weite Strecken sehen sie so keine Menschenseele.
„Oft haben wir schon um 4 Uhr nachmittags damit begonnen, nach einem geeigneten Landeplatz zu suchen", beschreibt Lacaze ihre Flugtaktik. Durch frühes Landen vermeiden sie das Tal und lange Märsche zum nächsten Startplatz. Früh Landen heisst aber auch, Landen bei aktiver Hochgebirgsthermik. „Wenn auf der einen Seite eines Grats ein 8-Meter-Schlauch hochfegt, musst du praktisch immer im Lee auf der Schattenseite fliegen, um runterzukommen." Höchste Konzentration und volle Schirmbeherrschung sind Pflicht.
Einmal misslingt Damien diese Taktik und er muss weit unten im Tal landen, in der Nähe eines kleinen Dorfs, das er aus der Luft kaum gesehen hatte. Sofort ist er von den Dorfbewohnern umgeben, die noch nie einen Gleitschirm gesehen haben und entsprechend aufgeregt sind. Jeder will das faltbare Fluggerät einmal berühren. Als Lacaze zusammenpackt und aufbrechen will, um sich mit dem höher gelandeten Antoine zu treffen, nehmen ihm die Locals sein Gepäck ab und begleiten ihn bis auf den Gebirgskamm. „Ich durfte meinen Rucksack keinen einzigen Meter tragen," erinnert sich Damien und lacht.
In Karimabad empfängt die beiden Abenteurer schlechtes Wetter. Immer wieder müssen sie den Aufbruch zum Spantik verschieben. Nach einer Woche Warten öffnet sich endlich ein Schönwetterfenster. Die Basis ist eigentlich zu tief, um auf 6.200 Metern auf einem Plateau am Spantik einlanden zu können. Damien und Antoine versuchen es trotzdem.
Statt in ihren Liegegurtzeugen, sitzen die beiden während des 40-Kilometer-Flugs von Karimabad zum Spantik in hauchfeinen String-Harnesses. „Das war bei Thermik, die bis zu 13 Meter in der Sekunde stark sein kann, schon etwas angsteinflössend," kommentiert Damien. Angekommen am Fusse des Spantik kämpfen die beiden Piloten um Höhe. Nur wenige Meter fehlen, damit sie am einzig möglichen Ort auf dem 6.200 Meter hoch gelegenen Plateau einlanden können. Schliesslich gelingt es. Weich setzen sie im tiefen Schnee auf.
Das Wetter jedoch verschlechtert sich früher als prognostiziert. Noch während des Zustiegs am nächsten Tag nimmt der Wind stark zu, es beginnt zu schneien und die mangelnde Akklimatisierung macht sich allmählich bemerkbar. Es geht kaum noch voran und die beiden beschliessen, abzubrechen. An einen Gleitschirmstart ist nicht mehr zu denken.
Antoine leidet unter der Höhe, Verdacht auf Hirnödem. Er muss hinunter, egal wie. Die beiden beschliessen, trotz des tiefen Schnees und dichten Nebels so bald wie möglich zu starten. Sie bereiten ihre Geräte für den Blindflug vor. Als der Wind kurz richtig steht, starten sie. Sie haben Glück. Die Wolkendecke ist lediglich 600 Meter dick. Bald meldet sich Antoine per Funk: Es geht ihm besser, die dichtere Luft hilft.
Der fluchtartige Abstieg mit dem Gleitschirm dauert eine Stunde. In dieser legen Antoine und Damien 35 Kilometer zurück. Alpinisten benötigen in dem Gelände für diese Strecke eine Woche.
Und genau das sei das Faszinierende am Gleitschirmfliegen im Hochgebirge, schwärmt Antoine: „Einige Leinen, ein Fetzen Stoff und du erreichst mit ein paar Thermikkreisen Orte, von denen Alpinisten ein Leben lang träumen."
Eine Woche später machen sich Antoine und Damien auf den Rückweg von Karimabad nach Skardu. Sie fliegen über den Baltoro-Gletscher, an den Trango-Türmen vorbei, soaren am Broad Peak und winken den Seilschaften unter sich zu.
Damien Lacaze ist Alpinist, Wettkampf-, Strecken- und Tandem-Pilot. Beim X-Alps 2017 war er Supporter von Benoît Outters und belegte im selben Jahr den ersten Platz beim Bornes to Fly. 2019 hofft Damien, selbst als Athlet bei den X-Alps teilzunehmen.
Antoine Girard ist Pionier in der Kombination von Höhen-Alpinismus und Gleitschirmfliegen. Unter anderem machte er 2016 mit seinem Überflug des Broad Peak (8.051 m) auf sich aufmerksam und hält den Gleitschirm-Höhenweltrekord. Beim X-Alps 2013 wurde er Dritter, 2015 Vierter.