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Im Aufwind der Midnight Sun

Ein subpolarer Survivaltrip durch Alaska

Felix Wölk und Thomas Bing lassen sich mit dem Buschflieger in der menschenleeren Wildnis Alaskas aussetzen. Sie wollen per Faltboot drei Wochen lang den Beaver Creek herunter paddeln und nach Erstbefliegungen in den White Mountains Ausschau halten. Das Faltboot ist randvoll mit Lebensmittel, Camping-Material und Hike & Fly Ausrüstung. Und was definitiv nicht fehlen darf:  Pfefferspray gegen Bären.

Es ist gleich Mitternacht, und die Sonne blendet am Horizont. Auf einem Seitenarm des Beaver Creek treiben wir auf märchenhafter Odyssee in ausgeprägten Schleifen Richtung Yukon Flats. Auf dem stillen, öligen Wasser spiegelt sich der rosa Nachthimmel. Ein Paradies der Stille. Wir schweigen. Tommy und ich sind heute 18 Tage in menschenleerer Wildnis unterwegs. Ich denke zurück: An den Braunbären, der mein Zelt zerriss, an den Sturm, der unser Lager wegfegte, und an die fantastischen Gleitschirmflüge im Licht der Mitternachtssonne.

Into the wild

Es ist der 24. Juni, als unser Abenteuer südlich des Polarkreises beginnt. Unser Faltboot hat eine Zuladung von 360 kg. Proviant, Survivalausrüstung, Gleit­schir­me, Kameraequipment. Unser Ziel sind Erstbefliegungen in den White Moun­tains der Tanana Hills sowie am Victo­ria-Massiv. Berge, die im Sommer nur über den Flusslauf des „Beaver“ zu erreichen sind, der sich über 300 Kilometer durch das subpolare Alaska windet. Da wir auf ein Satellitentelefon verzichten, werden wir drei Wochen lang weder Kontakt zur Aussenwelt noch jegliche Rücksicherung im Notfall haben. Wir bewegen uns ausschliesslich mit und in der Natur. Zu Wasser, in der Luft, und per Muskelkraft.

Es ist Frühling in Alaska. Der Beaver Creek zeigt ein verwüstetes Bild. Tommy ist ein erfahrener Kanute und sucht als Steuermann nach der richtigen Linie. Er nennt das den „optischen Trichter“ – ein Kegel glatten Wassers, der sich an der grössten Wassertiefe verjüngt. Ich diene als paddelnde Zugmaschine und halte am Bug Ausschau. Bald sind wir ein eingespieltes Team. In Strom­schnel­len wird die Verständigung kurz und prägnant. „Wurzel auf elf Uhr. 20 Meter!“ „Hab ich.“ „Trichter rechts. Danach Baum­stamm rechts!“ „Paddeln!“ Wir sind täglich 9 Stunden auf dem Fluss. Nach 5 Tagen erreichen wir die Ausläufer der White Mountains. Der Fels des Gebirges wirkt im nordischen Licht fahl und seltsam leblos. Auf einer Sandbank des Creeks schlagen wir unser Lager auf: die Basis für die ersten Flugversuche. Wir lauern auf windstilles Wetter. Stunden- und tagelang interpretieren wir die Wolkenformationen des arktischen Himmels. Die Luftfeuchte der vergangenen Niederschläge macht unser Lager zu einem Moskitonest. Nur das Feuer, das Tag und Nacht brennt, verschafft uns Ruhe.

„Heute Nacht schlagen wir zu. Paragliding Army Style: One shot, one kill.“

Felix Wölk

Die Nacht wird zum Tag

Nach einem gewittrigen Tag besteigen wir die Bergkette um 21.00 h. Durch zugewucherten Wald steigen wir auf Tierpfaden steil bergauf. Tote Bäume knicken dabei wie Streichhölzer. Bruchholz, Bärenmist und Elchäpfel zeigen die Präsenz grossen Wildes. Am Gipfelgrat, im böigen Wind einer abziehenden Überentwicklung, verharren wir geduldig. Die Nacht bringt Ruhe. Im Spalt zwischen dem Horizont und einer schwarzen Wolkenwand wirft die Midnight Sun ihr orangenes Licht auf die weissen Felsen. Es ist 1 Uhr nachts. Ein leichter Zug an den A-Leinen genügt, um die Schirme zwischen knochigen Zwerg­tannen aufzuziehen. Ich lasse den Flügel Fahrt aufnehmen, rufe zu Tommy „Go“ und mache drei große Sätze. Wir heben ab. Airborne in Alaska! Wo genau, wissen wir nicht, denn der Berg ist namenlos. Wir gleiten über menschenleere Wildnis. Das Tal ist schattig. Unter uns glänzt der Flusslauf des Beaver Creek silbrig aus einem schwarzen Wald. Das einzige Zeichen von Zivilisation ist ein grüner Punkt am Ufer: die Plastikplane unseres „Shelters“. Im Angesicht der Weite wirkt dieses kleine Zuhause wie ein verzweifelter Versuch menschlicher Behauptung.

„Als uns Special-Forces-Soldat Sam in Fairbanks fragte, ob wir ein Gewehr bräuchten, dachte ich nicht, dass ich mir eines gewünscht hätte.“

Felix Wölk

Die Wildnis schlägt zu

Am Fuss des Victoria Mountain wird es ernst. Ein ausgewachsener Braun­bär gründelt um unser Lager. Es ist, wie Tommy sagte: „Wenn man sie nicht er­war­tet, sind sie plötzlich da.“ Wir entsichern das Pfefferspray und versuchen ihn zu vertreiben. Als er sich abwendet, führt ihn seine Nase zu unseren Zelten, die 150 Meter entfernt stehen. Er wittert Gänsedaunen. Dann zerfleischt er mein Zelt, den Schlafsack und die Isomatte bis zur Unkenntlichkeit. Mir wird mulmig. Es ist reiner Zufall dass ich nicht in meinem Zelt liege. Ein Biss in ein Bein, ein Tropfen Blut, und ich wäre vielleicht die Beute gewesen. Da ein Bär zurückkehrt, wenn er fündig wurde, legen wir schnell ab. „Revierwechsel“. Mit nur einem Schlafsack sind die Nächte von nun an hart.

Chancenlos am Victoria Mountain

Das Victoria-Massiv zeigt sich stürmisch. Rotorwolken formieren sich in Reihen, darüber Eiswolken wie Fäden gezogen. Auf dem Beaver Creek peitscht der Wind und zieht Striemen. Zwei Versuche, das Gebirge zu befliegen, scheitern. Nach drei Wochen erreichen wir unseren Abholpunkt. Es ist ein seltsames Gefühl, als der Buschpilot mit einer alten Propellerkiste über unsere Köpfe donnert. In der Einsamkeit ist mir Menschenwerk fremd geworden. Als wir in „Sven’s Guest­house“, Fairbanks, frühstücken, wirkt die Geräuschkulisse der Zivilisation wie ein lärmender Brei. Ich sehne mich nach dem Rauschen der Wälder, des Flusses und den bunten Lauten der Fauna.

Die Ausrüstung

PI 2

PI 2

Light Versatility

STRAPLESS

STRAPLESS

Das Team

Felix Wölk

Felix ist Gleitschirm- und Drachenflieger, Fallschirmspringer sowie Bergsportler der alten Schule. Seit zwei Jahrzehnten gehört er zu den renommiertesten Gleitschirmfotografen weltweit und ermöglicht mit seiner Flugschule Fly Felice vielen Piloten neue Abenteuer.

Thomas Bing

Thomas ist ein passionierter ­Kanute, Gleitschirmflieger und Welten­bummler. Getreu seinem Motto “When the going gets tough, the tough get going” sammelte er jede Menge Survival­erfahrung in menschen­feind­li­chen ­Regionen.